Replik zum Artikel „Neutralität in der Gerichtsreportage ein unverzichtbares Prinzip".
Von „Neutralität als unverzichtbaren Prinzips“ zu SPRECHEN, ist genauso, wie wenn Faeser von einer schützenswerten Demokratie spricht.
Nur die Grundsätze zu zitieren genügt nicht. Neutralität wird in einer von Propaganda verzerrten Realität kein Raum gegeben. Eine verzerrte Realität erfordert daher den Mut, offen und nicht verdeckt Position zu beziehen, um dadurch ein Gegengewicht zu schaffen, was durch diese Dialektik erst wieder neutrale Berichterstattung möglich macht und neues Vertrauen schafft. Neutralität unter diesen Umständen einzufordern, ist also nichts anderes als Realitätsverleugnung.
Das ausgerechnet Teile der Aufklärungsbewegung das Ursache-Wirkungs-Prinzip verkennen, ist erstaunlich. Nicht die aufrichtigen Journalisten verletzen die Neutralität, sondern die Neutralität wurde bereits von der sich als demokratisch wähnenden Regierung und von der sich als neutral wähnenden Mainstreampresse und der sich als unabhängig wähnenden Gerichte vollends negiert.
In dem Wissen, dass auch in diesem Füllmich-Prozess der Grundsatz der Öffentlichkeit massiv eingeschränkt wurde, von Neutralität zu sprechen, lässt ehrwürdige Prinzipien wie Neutralität zu einem Zwangsgedanken verkommen, der nichts mehr mit Neutralität zu tun hat. Neutralität um der Neutralität Willen ist keine Neutralität. Neutralität kann nur da aufkommen, wo Transparenz vorherrscht und mehrere Perspektiven koexistieren können.
Entsprechend distanzieren wir uns vom fälschlichen Gebrauch des Wortes „Neutralität“, die genauso wie die einstige Tugend der Solidarität durch die Lügenpropaganda der Regierung nur für eigene Zwecke instrumentalisiert wurde. Bei einem Prozess, dessen äußerer Rahmen schon eher einem Terrorprozess als einem Wirtschaftskriminalitätsprozess gleichkommt (Handschellen und Fußfesseln, Isolationshaft, Transport unter schwerer Bewaffnung der Begleitpersonen, eingeschränkte Besuchszeiten für Verteidiger, staatlich finanzierter „Rückflug“ inklusive, etc.), Neutralität an den Tag zu legen, grenzt an Selbstverleugnung. Ein wahrer Journalist problematisiert die Unmöglichkeit der Neutralität angesichts dieser Umstände OFFEN und bezieht Position mit dem Risiko, missverstanden zu werden. Das ist „ethische Verantwortung im Journalismus“.
Anders als die Mainstreammedien machen wir klar, wann wir eigene Meinungen in die Reportage miteinfließen lassen und nicht nur die wiedergeben, die politisch korrekt sind. Denn auch die „political corretcness“ ist weit weg von jeder Neutralität. Damit wird dem Zuschauer eine Mehrheitsmeinung verbunden mit einer angeblichen Neutralität vorgegaukelt, um ihn auf die Spur derer zu setzen, die die politischen Vorgaben in diesem Land gestalten. Davon distanzieren wir uns deutlich und adressieren offen vor allem Missstände wie die Verstöße gegen grundlegende Menschenrechte und weisen darauf hin, dass Menschenrechtsverletzungen keine persönliche Meinung sein können.
"In den letzten Jahren hat sich das Format der Gerichtsreportage zu einem wichtigen Medium entwickelt, das tiefere Einblicke in juristische Prozesse verspricht als traditionelle Formen wie Livestreams oder Interviews.", so die Autorin Nicole Fischer.
Unsere Gerichtsreportagen scheinen selbst jene zu inspirieren, die unsere Arbeit diskreditieren. Wie kann das sein?
Wir möchten nicht arrogant klingen, aber der Autorin ist offenbar nicht klar, dass wir mit unseren unzähligen Gerichtsreportagen die letzten Jahre dieses anspruchsvolle Format überhaupt entwickelt haben. Also zensieren Sie nicht jene, die diesen Maßstab gesetzt haben, nur weil wir Füllmich nicht wie Sie im Knast sehen.
Zeigen Sie uns eine Gerichtsreportage, die trotz der offen gegenüber unseren Zuschauern kommunizierten Überzeugung, dass wir über einen politischen Prozess berichten und deshalb Füllmich nicht im Knast sehen, mehr Multiperspektivität bietet als unsere.
Nehmen Sie die Herausforderung an? Auch Sie sind Journalistin, also machen Sie es uns vor.
Ko'proq ko'rsatish ...
Titel: Neutralität in der Gerichtsreportage: Ein unverzichtbares Prinzip?
Warum der Bruch mit der Neutralität in der Berichterstattung über Gerichtsprozesse das Vertrauen der Öffentlichkeit gefährdet